Damian de Veuster

Ein Heiliger für unsere Zeit.

Als 1840 in dem kleinen belgischen Dorf Tremelo ein Kind geboren wurde, ahnte niemand, dass dieses einmal als „Apostel der Leprakranken“ in die Geschichte eingehen sollte. Es hieß Jef (Joseph) de Veuster, und war das zweitjüngste von acht Kindern. Seine Eltern waren fromm, vier seiner Geschwister wählten den geistlichen Stand. Jef allerdings war ein Junge mit außergewöhnlich guter Kondition und Kraft. Mit 13 Jahren beendete er die Schule und arbeitete bis zu seinem 18. Lebensjahr auf den Feldern der Familie und alles deutete darauf hin, dass aus ihm einmal ein angesehener Bauersmann und Familienvater werden würde. Doch es sollte anders kommen.

Auch in den flämischen Dörfern hörte man von den Missionaren, welche das Evangelium verkündeten und Christus in die entlegensten Winkel der Erde brachten. Der jugendliche Jef begann sich ernsthaft zu fragen, ob dies nicht auch seine Berufung sei; voll Sorge mussten seine Eltern beobachten wie ihrem Jungen, von Unruhe gepackt, die Lust am Essen und Trinken verging. Als er nicht allein mit sich ins Reine kommen konnte, wanderte er zu seinem älteren Bruder Pamphilus, einem „Arnsteiner Pater“, und was er vom Klosterleben sah und hörte, gefiel ihm außerordentlich.

Jef wurde zunächst nur als Bruderpostulant zugelassen, galt er doch als grobschlächtig in seinen Umgangsformen und zu ungebildet für

den Priesterstand. Hier aber zeigt sich seine ungewöhnliche Willensstärke; er  brachte sich in sechs Monaten selbständig Latein bei und zeigte sowohl Neigung als auch Begabung zum Studieren; so wurde er von seinem Vorgesetzten als Priesteramtskandidat zugelassen. Am 7. Oktober 1860 legte „Bruder Damian“ seine ewigen Gelübde ab. Als sein Bruder 1863 erkrankte und so nicht als Missionar nach Ozeanien eingeschifft werden konnte, bestürmte er seinen Vorgesetzten mit der Bitte, ihn stattdessen zu schicken. Und so kam es, dass Bruder Damian wenige Wochen später ein Schiff nach Hawai besteigen konnte.

Der Inselstaat war etwa hundert Jahre zuvor von Captain Cook entdeckt worden und es hatte nicht lange gedauert, bis dieses Paradies von westlichen Walfängern, Kaufleuten und Farmern überschwemmt worden war. Sie begannen bald die einheimische Bevölkerung zurück zu drängen, welche noch dazu von den eingeschleppten Zivilisationskrankheiten dramatisch reduziert wurde; innerhalb von 80 Jahren fielen 1/5 der Eingeborenen diesen Seuchen zum Opfer. Kurz nach Damians Ankunft in Hawai trat erstmals Lepra auf der Insel auf, welche sich als tödliche Epidemie erweisen sollte. Die Behörden gerieten zunehmend in Panik, drohte doch die Auslöschung der gesamten Urbevölkerung. Was folgte, waren verzweifelte Razzien und Verhaftungen von Erkrankten – doch das Massensterben ging weiter. Schließlich deportierten sie alle Aussätzigen auf die kleine Insel Molokai, von wo ein Entkommen unmöglich war. Die Zustände auf der Insel waren katastrophal; es gab keine Häuser, keine Krankenstationen oder Wasserstellen und weder Arzt noch Priester kümmerte sich um die Sterbenden. Die Folge war offene Anarchie, totaler Sittenverfall und gnadenlose Kämpfe um das Wenige, was auf der Insel zum Überleben existierte.

Der Bischof von Hawai machte sich ernsthafte Sorgen um die Katholiken auf der Insel, denn es  kamen zwar sporadisch Priester nach Molokai, aber diese durften die Kranken weder berühren, noch längere Zeit mit ihnen zusammen leben. Gleichzeitig wollte er keinen Geistlichen zwingen, in die „Hölle der Lebenden“ einzutreten, bedeutete dies doch den sicheren Tod. Bei einem Priestertreffen sprach er das Problem an und sofort sprang Pater Damian auf und meldete sich freiwillig für den Dienst an den Aussätzigen. „Herr Bischof haben mich daran erinnert, dass ich am Tag meiner Ordensprofess in ein Leichentuch gehüllt wurde, um zu lernen, dass aus dem freiwilligen Tod neues Leben entspringt; daher bin ich bereit, mich lebendig zu begraben mit diesen Unglücklichen, von denen ich mehrere persönlich kenne.“ Es gab nur wenige, die ihm an Ausdauer und Eifer glichen, er hatte schnell die Sprache der Einheimischen gelernt und viele Kirchen gebaut. „Wie alt sind Sie?“, fragte der Bischof zögernd. – „33 Jahre.“ – „So alt wie Unser Herr in der Stunde des Kreuzes…“. Und so war Pater Damians Schicksal besiegelt.

Am 10. Mai 1873 legte ein Schiff mit 50 Kranken, reichlich Vieh und einem jungen Priester bei Molokai an. Voller Freude begrüßten die Aussätzigen den Pater, welcher gleich zu Anfang auf eine harte Probe gestellt wurde. Da es keine Hütte gab, in welcher er hätte wohnen können, musste er unter Bäumen schlafen, die Kirche war verfallen und der Anblick sowie Geruch der vielen entstellten Menschen ekelten ihn an. Beim Messelesen überkam ihn häufig eine Übelkeit und die Sakramente spendete er nur mit einer Pfeife im Mund, welche den beißenden Verwesungsgeruch überdecken sollte. Doch schon bald überwand er seine Berührungsängste, aß mit den Infizierten aus einer Schüssel und redete stets von „uns Aussätzigen“. Unermüdlich begann er die Insel in einen erträglichen Ort zu verwandeln, pflegte die Kranken, spendete die Sakramente, wachte bei den Sterbenden und begrub die Toten. Um die etwa 700 Inselbewohner besuchen zu können, nahm er lange und gefährliche Wege auf sich. Trotzdem verlor er nicht den Mut, sondern vertraute sich ganz dem heiligsten Herzen an. In einem seiner Briefe schrieb er: „Was mich hier hält, ist allein die Liebe Gottes und die Rettung der Seelen. Wenn ich für meine Arbeit auch nur den geringsten Lohn nähme, würde meine Mutter mich nicht mehr als ihren Sohn erkennen.“

Es dauerte nicht lange, bis die Welt vom heroischen Einsatz des Paters auf der „Todesinsel“ erfuhr und auf diese Weise große Spendenaktionen gestartet wurden. Diese hatte Pater Damian zwar nicht beabsichtigt, dennoch kamen sie ihm sehr zugute, konnte er doch „seinen Kindern“ auf diese Weise Häuser und Kapellen bauen sowie für Medizin und Kleidung sorgen.

paterdamianchor

Pater Damian mit dem Kalawao-Mädchenchor während der 1870er. (Henry L. Chase [Public domain], via Wikimedia Commons)

Es folgten weitere Jahre des Aufbaus. Als 1884 ein amerikanischer Arzt die Insel nach Jahren wieder einmal besuchte, konnte er seinen Augen nicht trauen: saubere Hütten, Gärten, Kranken-, und Waisenhäuser, zwei volle Kirchen und vor allem Menschen mit Hoffnung und Freude im Herzen boten sich ihm dar. Es wurden Feste gefeiert und Umzüge organisiert. Es schien unfassbar, dass ein einzelner Mensch dies alles bewirkt haben soll. Fragte man Pater Damian danach, so antwortete er nur: „Ohne die ständige Präsenz unseres göttlichen Meisters in meiner armen Kapelle hätte ich niemals bei meinem Entschluss bleiben und das Schicksal der Aussätzigen teilen können.“ Stets trug er einen Rosenkranz bei sich und es verwundert nicht, dass sich viele der Heiden auf der Insel bekehrten.Über 12 Jahre hinweg war er von einer Ansteckung verschont geblieben. In diesen Jahren hatte er insgesamt 1800 Menschen zu Grabe getragen, durchschnittlich drei pro Woche. Doch seine Kraft und Ausdauer sollten Pater Damian jetzt genommen werden. Zuerst breitete sich der Aussatz an seinen Füßen aus, dann entstellte er sein Gesicht und seine Arme. Obwohl er sich nur noch unter Schmerzen bewegen konnte, arbeitete er weiterhin so hart wie zuvor und wollte sich nicht pflegen lassen. Mit dem zunehmenden Kräfteschwund stellten sich bei ihm Zweifel an seiner Berufung ein und ob er würdig genug sein würde, um in das Himmelreich einzugehen. Nachts konnte man ihn oft weinend auf dem Friedhof antreffen. Doch je weiter die Krankheit fortschritt, desto ruhiger und vergeistigter wurde er. Zwei Jahre vor seinem Tod schrieb Pater Damian an seinen Bruder: „Durch die innere Freude, die mir die heiligsten Herzen schenken, halte ich mich für den glücklichsten Missionar der ganzen Welt.“ Getröstet wurde er auch durch den Umstand, dass nach jahrelangen Bemühungen drei Franziskanerinnen auf die Leprakolonie kamen, um den Krankendienst zu verrichten. Am 9. März 1889 trat er das letzte Mal an den Altar und seine Gesundheit verschlechterte sich ab da rapide. Von Fieber geschüttelt, konnte er sein Zimmer nicht mehr verlassen und Pater Damian erklärte: „Das ist das Ende, der Herr ruft mich, ich soll mit Ihm Ostern feiern.“ Einen Tag nach Palmsonntag, den 15. April 1889, verstarb Damian de Veuster im Alter von 49 Jahren im vollen Priesterornat und versehen mit den Sakramenten der Kirche. 16 Jahre hatte er in der „Hölle von Molokai“ verbracht, welche er in einen menschenwürdigen Platz verwandelt hatte. Er entschlief mit einem Lächeln auf den Lippen und alle Anzeichen der Lepra in seinem Gesicht verschwanden.

Heute ist der einstige Bauernbursche weltweit bekannt. Nachdem er 1995 selig und 2009 von Papst Benedikt XVI heilig gesprochen wurde, sind zahlreiche Bücher über ihn veröffentlicht und mehrmals sein Leben verfilmt worden. Seine Statue vertritt den Staat Hawai im Kapitol von Washington und Größen wie Gandhi und Mutter Theresa beriefen sich auf sein Leben. Er wird als „Apostel der Leprakranken“, „Märtyrer der Nächstenliebe“ und auch als „Größter Belgier“ bezeichnet. Dabei wird es immer schwieriger, sich seine Heldentat wirklich vor Augen führen, da Seuchen wie die Lepra aus unseren Breiten längst verschwunden sind. Trotzdem kann er uns ein Vorbild sein, den Glauben dahin zu tragen, wo es scheinbar keine Hoffnung mehr gibt. In einer Welt, in der sich eine Art geistiger Aussatz breit macht, ist es immer wieder tröstlich auf das Leben von Pater Damian zu blicken, welcher dieses kompromisslos in die Hände Gottes gelegt hat. Auch wir können wieder aufbauen, wo alles verloren scheint. Das man dafür Opfer bringen muss, scheint verständlich und auch Damian de Veuster hat oft genug darunter gelitten. Trotzdem gab er niemals auf und war schließlich der Überzeugung: „Wenn man Gott dient, ist man überall glücklich!“

Sein Fest feiern wir am 10. Mai. Es ist der Tag, an welchem er die „Todesinsel“ betreten hatte, um sie nie mehr zu verlassen.

 

Quellen

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im DGW 3/2016.