Liebe Jungendliche,
„Am Himmel erschien ein grosses Zeichen: eine Frau, mit der Sonne umkleidet, den Mond unter Ihren Füssen und eine Krone von zwölf Sternen auf Ihrem Haupte.“ (Offb 12,1)
In diesem Zeichen des Heils, das in jenem Moment, in welchem alles verloren scheint, am Himmel erscheint, hat die Kirche immer Maria erkannt. Sie ist es, die der Welt das Licht geschenkt hat, das in der Finsternis erstrahlt. Dies ist das Zeichen, das die Welt vor der Katastrophe gerettet hat, das Zeichen dafür, dass Gott einer von uns wurde.
Der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort fasst die Bedeutung Mariens gleich zu Beginn seines goldenen Buches zusammen: „Gott, der in der ganzen Heilsordnung seine grössten Werke durch die allerseligste Jungfrau Maria beginnen und vollenden wollte, wird diese Ordnung sicherlich in alle Ewigkeit beibehalten; denn er ist Gott und ändert sich weder in seinen Absichten noch in seinem Handeln.“ Ja, Gott hat sich immer der Jungfrau Maria bedient bei der Heiligung der Seelen. Es gibt keinen Grund, dass Er jetzt etwas anderes beschliessen sollte. Fatima drängt uns heute noch mehr, Zuflucht bei Maria zu suchen, um heilig zu werden. „Gott will in der Welt die Andacht zu meinem unbefleckten Herzen begründen“.
Jeder der zwölf Sterne der Krone bedeutet eine besondere Gnade, eine aussergewöhnliche Vollkommenheit und Schönheit der Mutter Gottes. Wir wollen in diesem Jahr jeden dieser Sterne betrachten, damit sie auch in uns zu leuchten beginnen, indem wir nach unseren bescheidenen, menschlichen Möglichkeiten, die Vollkommenheit nachahmen, die Gott Maria zuteil kommen liess. Machen wir uns diese schöne Krone zu eigen.
Jeden Monat wird ein Brief uns die Gelegenheit geben, einen Aspekt des Geheimnisses Mariens zu betrachten und zu vertiefen. Am Ende jedes Briefes wird uns ein Satz und ein Vorsatz vorgeschlagen, die uns den ganzen Monat hindurch begleiten sollen und die uns helfen jeden Stern vertieft zu betrachten. Diese Briefe sollen nicht einfach nur Artikel sein, die wir lesen und gleich wieder vergessen. Sie sollen eine praktische Vorbereitung und Hinführung sein für jene, die sich nach der Methode des hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort der Allerseligsten Jungfrau Maria weihen wollen. Diese Weihe findet nächstes Jahr am Christkönigstreffen statt. Sie wird während eines ganzen Jahres hindurch erarbeitet und vorbereitet werden.
Erster Stern
In der Lauretanischen Litanei wird Maria mit dem schönen Titel „Rosa Mystica“ verehrt: Die geheimnisvolle Rose, die noch geschlossene Rose, welche in Ihrem Herzen den ewigen Sohn des himmlischen Vaters verborgen hielt. Betrachten wir die ersten Blütenblätter dieser Blume: Es handelt sich um die göttliche Mutterschaft. Maria ist so glorreich in der Geschichte des Heiles, weil Gott Sie von Ewigkeit her als seine Mutter auserwählt hat. Alle weiteren Gnaden und Privilegien wurden Ihr aufgrund Ihres schönen Titels Muttergottes verliehen.
Als im Jahre 1857 die ersten Missionare nach 250 Jahren Abwesenheit in Japan wieder wirken durften, waren sie überzeugt, dass durch die blutige Christenverfolgung alle christlichen Gemeinden ausgerottet waren. Man fand jahrelang keine Spuren des Christentums auf den japanischen Inseln. Die Priester begannen deshalb mit einer erneuten Missionierung des Landes. Am 17. März im Jahre 1865 bemerkte der französische Pater Petitjean eine kleine Gruppe von Männern und Frauen vor der neu erbauten Kirche in Nagasaki. Er ging auf die Japaner zu, schloss die Kirchentüre auf und kniete vor dem Altar für eine kurze Anbetung nieder: „Gott hilf mir die richtigen Worte für diese Menschen zu finden, damit ich ihre Herzen berühren kann.“ Wenige Augenblicke später näherte sich ihm eine Frau und sprach: „Wir haben das gleiche Herz wie du!“ „Wirklich?“, fragte der Pater Petitjean erstaunt, „Woher kommt ihr?“ „Urakami, ein Dorf in der Nähe Nagasakis. Dort haben alle dasselbe Herz wie wir.“ Die Frau sprach weiter: „Wo ist das Bild der ‘Santa Maria’ (der heiligen Maria)?“
Nach dieser Frage gab es für Pater Petitjean keine Zweifel mehr. Diese Japaner mussten die Nachfahren der verfolgten Christen sein, die 250 Jahre lang ohne Priester, ohne Hostie und ohne Beichte gelebt hatten. Anstelle einer Antwort führte Pater Petitjean die Gruppe zum Altarbild der Jungfrau Maria. Gemeinsam knieten sie alle nieder. Sie weinten vor Freude und riefen: „Ja, das ist wirklich ‘Santa Maria’, schaut in Ihren Armen ‘on ko Jesu Sama’ (d. h. das erhabene Kind)!“ Durch diese Geste gewannen die Christen die Sicherheit, dass die neuen Missionare keine falschen Propheten in Schafskleidern waren, denn sie verehrten auch die Mutter Gottes. Die Japaner wollten ihren Glauben auch vor diesem unbekannten Pater bekennen: In dem sie ihren Gott in den Armen seiner Mutter anbeten.
Der Kern dieser wahren Geschichte bringt unsere Marienverehrung auf den Punkt: Maria wurde aus allen Frauen auserwählt, das kostbarste Gut, den Sohn Gottes in Ihren Armen zu tragen. Diese Einsetzung geschah jedoch nicht ohne Ihre Zustimmung. So kann man sagen, dass von dieser Entscheidung alle Wundertaten des Heilands, das gesamte Wirken der katholischen Kirche, kurzum die ganze Erlösung von Ihrer Zustimmung abhing. Alle Engel, selbst Gott, warteten auf Ihre Antwort. Als würdige Gottesmutter stimmte Maria zu und übergab Gott mit Ihrem Ja-Wort die Vollmacht über Ihre Person:
„Ecce Ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum tuum!“
Maria stützte sich nicht auf Argumente oder menschliche Sicherheit. Nein, sie stimmte ohne Vorbehalte zu und sprach ein klares, endgültiges Ja. Mit dieser Zustimmung wurde Maria die Mutter des Herrn. Nach Augustinus empfing Maria noch vor der Empfängnis im Schosse den Heiland in Ihrem Herzen. Die Würde der göttlichen Mutterschaft liegt somit gerade so gleich in Ihrer allumfassenden Zustimmung zu der göttlichen Menschwerdung und nicht in Ihrer physischen Mutterschaft.
Stellen wir uns nun folgende Frage: Wie hätten wir in dieser Situation geantwortet? Hier einige mögliche Überlegungen auf diese Frage:
- Ist es nicht anmassend zu glauben, dass ich würdig genug bin, diese Berufung anzunehmen?
- Gibt es nicht eine andere Frau, die besser geeignet ist? Diese Aufgabe scheint über meine Kräfte hinaus zu gehen.
- Bin ich überhaupt fähig, die furchtbaren, erschütternden Leiden unseres Herrn mitzutragen?
Diese Antworten stehen stellvertretend für die drei Versuchungen, mit welchen wir immer wieder konfrontiert sind: Erstens der Kleinmut, zweitens das mangelnde Vertrauen und drittens die Angst vor dem Opfer.
Die Antwort der Jungfrau zeigt uns sehr gut auf, dass Sie diesen drei Versuchungen gar nicht erst nachgab. „Mir geschehe nach deinem Wort!“ Maria war für all die Opfer, die Gott von Ihr erwartete, bereit. Maria bezeugt mit diesen Worten Ihr unerschütterliches Vertrauen in die Vorsehung. Zu diesem Zeitpunkt kannte sie die Prophezeiungen nur schemenhaft, dennoch nahm sie alle grossherzig an.
Wir können Maria nicht in Ihrer leiblichen Mutterschaft nachahmen, da Christus nur einmal Mensch wurde. Jeder einzelne von uns kann weitaus mehr tun: Wir können Maria in Ihrer allumfassenden Einwilligung in die Vorsehung Gottes nachahmen und dadurch Jesus auf geistige Weise empfangen. So leuchtet der erste Stern der Krone Mariä in uns, indem wir den Versuchungen zu Kleinmut, mangelndem Vertrauen und der Angst vor Mühen und Opfern nicht nachgeben.
Zum besseren Verständnis folgt nun ein konkretes Alltagsbeispiel: Stellt euch einen Schüler am Vorabend des ersten Schultages vor. Der kleine Junge ist schrecklich nervös. Die Mutter versucht ihn mit Worten zu beruhigen: „Du wirst sehen, es wird alles gut. Unzählige Jungen sind in der gleichen Situation!“ Das Kind lässt sich nicht beruhigen. Vielmehr sagt es zu seiner Mutter: „Ich will sicher sein, dass ich immer nette Lehrer bekomme, welche mich verstehen. Ich muss sicher sein, dass sich meine Kameraden nie lustig über mich machen und ich will immer alles beim ersten Mal verstehen und alle Prüfungen direkt beim ersten Versuch bestehen. Wenn du mir dies nicht bestätigen kannst, gehe ich einfach nicht in die Schule!“
Oft geht es uns bei anstehenden Entscheidungen, in denen es um etwas Höheres geht oder in denen man Verantwortung übernehmen muss, ähnlich wie diesem Kind. Als erster Reflex folgt oftmals eine Suche nach menschlicher Gewissheit und Sicherheit. Vielleicht versteckt man sich auch hinter der illusorischen Versicherung, dass man alles schaffen kann, und sich nur überwindbare Hindernisse einstellen werden. Kommen jedoch Zweifel, Verspottungen, Missverständnisse auf, zerfällt das Idealbild. Es folgt die Angst, die Scham, sich oder jemanden zu enttäuschen, die Furcht zu scheitern und lächerlich gemacht zu werden. Mit dieser Ausgangslage folgt der Entscheidung ein kategorisches „Nein“ oder eine feige Zurückhaltung. Kurzum hat in diesem Fall die Versuchung zum Kleinmut, zum Misstrauen und zur Angst vor der Anstrengung gesiegt. Gott wartete auf ein klares „Ja“ und findet stattdessen ein Zittern, Entmutigung und Schüchternheit vor.
Zurück zur Ausgangslage unseres Kindes. Wie wird wohl die Reaktion der Mutter auf die Ängste des nach fester Gewissheit suchenden Kindes sein? Sie wird ihm sagen, dass Lehrer und Kollegen sich nicht immer nach den eigenen Wünschen verhalten. Dadurch lernt man die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Schwierige Prüfungen gilt es zu überwinden, um dadurch die Reife eines Mannes zu erlangen. Weiter wird die Mutter den Jungen darauf aufmerksam machen, dass die Sicherheit des heutigen Komforts und das Streben nach Sicherheit das Vertrauen zerstören. Endlich wird die Mutter ihrem Sohn versichern, dass er jederzeit bei ihr Hilfe bekommt. Der Junge muss der Mutter vertrauen, er hat keine andere Wahl.
Ähnlich sieht die Antwort Gottes auf unsere Ängste, Charakterschwächen und Rückzieher vor der Übernahme einer Verantwortung aus. Gott hat uns nie versichert, dass alles zum Besten gehen wird: „Der Jünger steht nicht über dem Meister.“ Auch wird er nicht an unserer Stelle die Arbeit erledigen, während wir ruhig auf ein Wunder oder das Ende der Welt warten. Nein, Gott hat uns nicht Gewissheit und Sicherheit versprochen, sondern seine Hand, d. h. seinen Beistand, wenn wir darum bitten. Gott will uns dadurch von Zweifel und Unentschlossenheit heilen. Dies sind zwei schlimme Krankheiten der heutigen Gesellschaft, welche auch unsere nach “Sicherheit in allen Bereichen“ lechzenden Herzen zerfrisst.
Erwartet Gott, dass wir Superhelden werden? Nein. Er erwartet, dass wir auch das „fiat“ bzw. „Mir geschehe nach deinem Wort.“ aussprechen. Dadurch ahmt man die göttliche Mutterschaft nach. Warten wir nicht auf die Motivation aus den KJB-Gruppen, bevor wir eine Initiative starten, ergreifen wir sie einfach. Lassen wir uns nicht durch den misstrauischen oder argwöhnischen Blick der liberalen Katholiken, denen man leider zu oft begegnet, steuern. Trauen wir uns, auch mit Stolz in der Welt unseren angegriffenen Glauben zu verteidigen. Schämen wir uns nicht, das Leben eines authentischen, katholischen Lebens durch Kleidung, Freizeitgestaltung und Freundschaft zu zeigen. Erschrecken wir nicht, wenn wir den Ruf, Priester, Ordensmann oder Schwester zu werden, vernehmen: Gott reicht seine Hand, sodass wir höher steigen. Haben wir keine Angst vor dem, was von uns verlangt wird. Es wird bestimmt gross sein. Es ist aber die einzige Möglichkeit, selber gross vor Gott zu werden. Vertrauen wir auf die Hilfe Gottes und der Personen, welche Er uns auf unserem Lebensweg anvertraut. Es ist die notwendige Voraussetzung, damit unser bedingungsloses „Ja“ nicht in Hochmut endet.
Mögen wir alle der Antwort Mariä nacheifern, Ihrem definitiven „fiat“, ohne detaillierte Ausführungen des Erzengels, ohne einen Einblick auf all Ihre zukünftigen Gnaden durch Ihr „Ja“ zu haben und ohne im Voraus einen Blick auf Ihre glorreiche Krone zu erhalten. Maria, hilf uns jeden Tag dieses „fiat“ auszusprechen. Sei es in der täglichen und langweiligen Pflicht, sei es bei einer Entscheidung, die unsere Zukunft oder Berufung betrifft. Mögen wir weder zittern noch zaghaft sein, stattdessen wollen wir den ersten Stern der Krone der Jungfrau ehren. Dies geschieht durch ein bedingungsloses “Ja“ zu alledem, was Gott von uns verlangen wird. Mit diesem “fiat“ erlangen wir den Himmel.
Mit meinem priesterlichem Segensgruss,
Pater Alexandre Maret
☞ Betrachtungshilfe/Stossgebet: „Ecce ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum tuum!“
☞ Vorsatz des Monates: “Si Si No No“ “Eure Rede soll sein: Ja, ja – nein, nein. Was aber darüber hinausgeht, ist vom Bösen.“ (Mt 5,37) Verbannt von euren Entscheidungen den Kleinmut, die Angst vor zu wenig Kräften und die Opferscheu.
☞ Lesetipp: Kapitel 16, 22 und 23 aus dem Buch : “Aufruf der Botschaft von Fatima“ von Schwester Luzia.