Katholischer Kitsch und seine Gefahren

Katholischer Kitsch! Es gibt kaum etwas, was international unter Gläubigen so gleichmäßig verbreitet ist, wie diese Kunst. Millionen von frommen Katholiken finden Trost und Erbauung in der immer identischen Sakralkunst, sogar einige der bekanntesten Andachtsbilder würde ich unter Kitsch verorten. Diese werden inzwischen seit Generationen verehrt, sodass sie fast einen ikonenhaften Charakter besitzen. Die Menschen lieben diesen süßlichen Jesus, diese kindliche Madonna, welche den Betrachter in eine unproblematische und heile Welt einführen. Für die meisten Menschen ist Kitsch Ausdruck der Sehnsucht nach Harmonie, Frieden und Einfachheit; eine Sehnsucht, die in uns allen steckt. Und was ist dagegen einzuwenden? Man kann schließlich nicht von jedem Menschen verlangen, einen ausgezeichneten Kunstsinn zu haben. Und überhaupt sind die Geschmäcker doch sehr verschieden – was der eine als Kitsch ansieht, ist für den nächsten ein Meisterwerk. Und selbst wenn es schlechte Kunst ist, so dienen die Bilder doch trotzdem immer nur der Gottesverehrung?

All diese Punkte sind durchaus richtig, und machen die Einordnung und Beschäftigung mit dem Thema nicht einfach. Als angehende Künstlerin beschäftigt mich Kitsch natürlich besonders stark, und so kann man folgende Zeilen als eine Zusammenfassung von Gedanken sehen, die ich mir im Zuge meines Studiums dazu mache. Ich habe lange gezögert, einen Artikel darüber zu schreiben, weil es ein so komplexes und emotionsgeladenes Thema ist. Da ich aber glaube, dass sich im Kitsch auch tiefere kirchliche Probleme widerspiegeln und ich sein massenhaftes Auftreten auch in traditionellen Kreisen als eine unterschätzte Gefahr ansehe, möchte ich diese Überlegungen schlussendlich nicht zurückhalten.

Wenn man negativ über Kitsch spricht, kann man berechtigterweise einwenden, dass es süßliche und primitive Sakralkunst in der Kirche schon seit Jahrhunderten gibt – man denke nur an die vielen Putten des Barocks oder an die Herz-Jesu-Darstellungen des Rokokos. Und hat nicht insbesondere die Volkskunst in der Geschichte immer wieder sehr einfache Bilder hervorgebracht, welche man auch unter die Kategorie „Kitsch“ zählen könnte?

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Sehnsucht der Menschen nach solchen Bildern immer vorhanden gewesen, und sie ist auch in einem gewissen Umfang legitim. Früher entsprangen diese Bilder aber einem tiefen Volksglauben, und jedes einzelne Kunstwerk wurde zumeist von frommer Hand angefertigt und erhielt so einen einzigartigen Charakter. Außerdem orientierte sich auch die primitivste Dorfkunst immer an einem höheren Ideal, welches durch gute zeitgenössische Künstler gelehrt wurde. Das Problem des gegenwärtigen Kitsches ist so auch weniger seine Existenz als seine ungeheure Präsenz durch das Fehlen von guter katholischer Kunst als Gegengewicht. Woher aber kommt das? Warum ist heute 90% der produzierten Sakralkunst kitschverdächtig?

Die Wurzel liegt weit in der Geschichte zurück, als die Kirche ihre Schirmherrschaft über die freien Künste verloren hatte. Mit der Romantik wurde die Kunst eine bürgerliche Angelegenheit, und man kann wohl sagen, dass der Barock der letzte große Kunststil war, der aus dem Katholizismus hervorgegangen ist. Danach war die Kirche auf die weltlichen Kunstströmungen für ihre Ausstattung angewiesen oder musste auf vergangene Formen zurückgreifen. Diese Problematik zeigt sich besonders gut im 19. Jahrhundert, der Wiege des heutigen Kitsches. Gerade um die Jahrhundertwende herum wurden viele Kirchen gebaut und neu ausgestattet, und zwar vornehmlich im neogotischen und neoromanischen Stil. Und auf diese Weise sind wunderschöne Sakralbauten entstanden. Trotzdem wurde hier der „Abklatsch“ in Ermangelung einer eigenen Kunstform salonfähig gemacht. Die Menschen damals im Mittelalter hofften Authentizität und Identität zu finden, welche mit der anbrechenden Moderne zunehmend verloren ging. Vielleicht war dies auch eine Art, die Augen vor dem Niedergang des Glaubens und der Kultur zu verschließen. Der Westen besaß ja längst nicht mehr die herbe Frömmigkeit des Mittelalters, welche diese Meisterwerke hervorgebracht hatte. Und wirklich wollte die Mehrheit der Menschen diese ja auch gar nicht mehr. Es verwundert so nicht, dass man bereits in dieser Zeit anfing, den alten Formen die Härte und Urtümlichkeit zu nehmen und dem süßlichen Zeitgeschmack anzupassen.

Dies wurde auch dadurch begünstigt, dass man nicht unbedingt mehr Kunsthandwerker und Maler für die Ausstattung bemühen musste, sondern auf industrielle Massenware zurückgreifen konnte. So ergoss sich bald eine Überschwemmung von billigen Statuen über die Sakralräume und Häuser der Gläubigen. Es dauerte nicht lange, dann konnte man durch verschiedenste Drucktechniken auch Bilder vervielfältigen – ein Novum in der Geschichte! Der Drang der Menschen nach Kitsch war da, und er konnte endlich unkompliziert befriedigt werden, die Industrialisierung machte es möglich. Gleichzeitig gab es kaum mehr Künstler, die diese Sehnsucht in gesunde Bahnen zu lenken vermochten. Und so stand plötzlich alles voll mit schlechten Kopien alter Meister und süßlicher Alltagskunst. So ging es bis zum nachkonziliaren Bildersturm.

Ansatzweise kann man ja verstehen, was diese Leute angetrieben hat – nach dem Elend zweier Weltkriege war man endgültig angewidert von diesen weichlichen Statuen, und dem ewigen Kopieren vergangener Zeiten. Man wollte endlich einen eigenen, authentischen Ausdruck schaffen und schlug im Zuge dessen einfach alles unterschiedslos kurz und klein. So ist es bis heute! Die moderne „Kirchenkunst“ ist dem anderen Extrem verfallen – anstatt dass sie tatsächlich etwas Eigenes und Neues schafft, lebt sie von der ewigen Ablehnung des einst Dagewesenen. Alles was nach klassischer Schönheit, nach Harmonie und Liebreiz aussieht, gilt es zu überwinden, weil es ja „Kitsch“ sein könnte. Dabei hätte die Kirche gerade heute die Chance, der sinnentleerten Welt mit guter Kunst entgegen zu treten – Mission durch wahre Schönheit!
Stattdessen baut sie brutalistische Gotteshäuser, welche nicht einmal mehr oberflächliche Glücksgefühle auslösen können. Da sich davon aber viele Gläubige zu Recht abgestoßen fühlen, greifen sie auf das zurück, was sie aus Kindheitstagen oder von ihren Eltern geerbt und lieben gelernt haben – eben die Produktionen des 20. Jahrhunderts, welche ja immer noch in Massen zu haben sind. Der Großteil der kitschigen Kunst geht irgendwie auf diese Zeit zurück, auch wenn sie inzwischen bearbeitet oder „ausgeschmückt“ wurde. Wie gesagt, nicht alles aus dieser Zeit ist schlecht. Aber unglücklicherweise leidet die heutige Zeit noch stärker als damals unter einem schlechten Stilempfinden. Man kann also zunächst nur wenig anderes tun, als auf die Gefahren von Kitsch hinzuweisen und die Menschen wieder für gute Kunst zu sensibilisieren.

Kommen wir also endlich zu der Frage: Was sind denn die Gefahren des Kitsches? Dass es sich hier zumeist um billige Massenproduktionen und schlechte und minderwertige Kopien handelt, wurde ja bereits geklärt. Soll man ein kitschiges Bild weiterhin umschreiben, fallen solche Begriffe wie: süßlich, einfach, oberflächlich, kindisch, niedlich, falsch, unwahr, klischeehaft, unmännlich, weichlich, hässlich, stillos usw.

Allein an diesen Begriffen erkennt man: all diese Zuschreibungen sind das pure Gegenteil von dem, was das Christentum ausmachen sollte, und allein das sollte einem gläubigen Herzen Sorge bereiten.

Was unterscheidet aber ein gutes Bild von Kitsch?

Auch hier lohnt ein Blick in die Geschichte. Zu allen Zeiten standen Künstler vor einer echten Herausforderung, wenn sie zum Beispiel ein Christusbild malen wollten. Betont man eher die menschliche oder die göttliche Seite Jesu? Zeigt man Ihn als leidenden Gottessohn, als barmherzigen Hirten oder doch als apokalyptischen Weltenrichter? Gibt man Ihm eher weiche oder eher harte Züge? Wie alt dieser Kampf um die richtige Darstellung ist, beweist die älteste Christusikone der Welt, dem Pantokrator aus dem Katharinenkloster auf dem Sinai, welche aus dem 6. Jahrhundert stammt (siehe Bild rechts). Hier wurde das Problem auf beeindruckend simple Art gelöst – man gab Jesus einfach zwei verschiedene Gesichtshälften. Spiegelt man die linke, sieht man einen segnenden, ruhigen und introvertierten Jesus, spiegelt man die rechte, verwandelt sich der selbe Christus plötzlich in einen mächtigen, fast grimmigen Richter, das Buch des Lebens in der Hand (siehe Bild oben).

Diese Vielschichtigkeit von scheinbaren Gegensätzen findet sich im Christentum überall. Martyrium und Auferstehung, Lebensfreude und Opfer, menschliche Unzulänglichkeiten und ewige göttliche Wahrheit, Sünde und Vergebung, Himmel und Hölle … All diese Dinge gehören zusammen und können nur schwer getrennt werden, ohne dass Gefahr besteht, einseitig zu werden. Jede Epoche hat ihre eigenen Vorlieben der Darstellungen entwickelt, und je nach Zeitgeschmack wandte man sich eher dem einen oder dem anderen Extrem zu. Immer jedoch war das letzte Ziel des guten Künstlers, keine der beiden Seiten vollkommen auszusparen und so ein angemessenes und würdevolles Heiligenbildnis zu schaffen.

Der Kitsch allerdings ist zutiefst einseitig. Hier wird nur die barmherzige, die „nette“ Seite des Glaubens gezeigt, wobei diese auf ganz unnatürliche Art und Weise überspitzt wird.

Ziel von Kitsch ist es, den Betrachter um jeden Preis in wohlige Gefühle einzulullen, wobei er nicht davor zurückschreckt, Christus, oder die Heiligen, in das Kindchenschema zu pressen.  Dabei werden die Dargestellten dem Gefühl, das sie auslösen sollen, untergeordnet, was alleine schon misstrauisch stimmen sollte. Typisch sind glatte Gesichter mit femininen Zügen, rosigen Wangen und etwas zu großen Augen, welche einen süßlich anlächeln. Alles Harte, Unangenehme, Unsymmetrische wird als störend entfernt, bleiben dürfen nur die offensichtlichen Attribute, wobei selbst die Marterwerkzeuge wie Spielzeuge aussehen.

Hier sehe ich gleich mehrere Gefahren: Erst einmal passen diese Bilder zu gut zur heutigen Wohlfühlmentalität, für welche die größte Sünde in allem besteht, was das eigene Glücksgefühl stört. Dabei ist das doch ein Hauptübel, welches die Kirche bekämpfen möchte. Ewige Seligkeit verspricht sie erst im Himmel, während das Leben auf Erden auch Opfer, Selbstüberwindung und Leiden bedeutet. Christ zu sein bedeutet tiefe Freude, aber eben auch Kampf. In dem Zuge könnte man auch Fragen, ob solche Bilder nicht die Tendenz hin zu einer Allerlösungslehre haben – denn kann dieser blauäugige Jesus wirklich irgendjemanden für seine Sünden verurteilen?

Ein weiteres Problem sehe ich in der Unmännlichkeit der Darstellungen. Jesus oder die Märtyrer als Weichlinge? Nichts könnte falscher sein als solch eine Unterstellung. Dasselbe gilt übrigens für die weiblichen Heiligen. Die Muttergottes als süßliches Püppchen? Wo ist da die Schlangenzertreterin geblieben? Die Mater Dolorosa, deren Herz von Schwertern durchbohrt ist? Wo die starke Mutter der Christenheit? Kein Wunder, dass sich Jugendliche nicht unbedingt zu einer Kirche hingezogen fühlen, in welcher solche Bilder vorherrschen.

Überhaupt sehe ich hier das Hauptproblem des Kitsches. Wenn gute Katholiken Kitsch für ihre Frömmigkeitsübungen benützen, mag es für sie selbst eine geringere Gefahr darstellen – solange sie die Lehre der Kirche kennen und sie auch befolgen. Schließlich beten wir ja keine Bilder an, sondern gebrauchen sie als Hilfsmittel bzw. „Brücke“ in die heilige Welt. Das wirkliche Übel besteht darin, dass Menschen von außerhalb, die sich nach Tiefe, Ernsthaftigkeit und Wahrheit sehnen und dabei ein wenig sensibel auf Kunst reagieren, von Kitsch sofort abgeschreckt werden. Sie spüren, dass diese Bilder genauso oberflächlich sind, wie alles in der heutigen modernen Gesellschaft, und im schlimmsten Fall schlussfolgern sie daraus, dass auch die Lehre der Kirche genauso billig ist, wie dieses süßliche Lächeln Christi.

Tatsächlich habe ich Menschen kennengelernt, welche unter anderem aus diesem Grund nicht wirklich warm mit dem katholischen Glauben geworden sind. Auch ich selbst habe dies erlebt, als ich die katholische Tradition kennen lernen durfte. Ich war fasziniert von der lateinischen Messe, ihrer ehrwürdigen Schönheit, sodass es sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte, als ich den Kitsch bei so vielen frommen Katholiken sah. War am Ende deren Glaube ebenso stillos und falsch? Heute weiß ich, dass dies nicht so ist, aber man sollte die Wirkung von Bildern nicht unterschätzen. Von daher schließe ich diesen Artikel mit einigen demütigen Anregungen, ohne dabei anmaßend werden zu wollen. Wenn für Flyer, Infozettel, Buchcover, Postkarten, Heiligenbildchen usw. Darstellungen gesucht werden, also für Dinge, die den Außenstehenden gegebenenfalls beeindrucken und neugierig machen sollen, sollte man immer nur Bilder verwenden, von denen man weiß, dass sie gute, katholische Kunst zeigen. Wenn man sich nicht sicher ist, dann kann man ja auf über 1000 Jahre katholische Kunstschätze zurückgreifen. Im Allgemeinen ist es so, dass Reproduktionen alter Meister professioneller und glaubwürdiger wirken als selbst nur leicht kitschige Bilder aus dem 19./20. Jahrhundert.

Natürlich ist es auch gut, wenn man sich bzw. die eigenen Kinder in Kunstdingen zu sensibilisieren und bilden versucht. Immerhin geht es hier auch um ein Stück der eigenen Kultur, welche verloren geht. Ansonsten wäre es natürlich schön, wenn es möglich wäre, irgendwie auch zeitgenössische, gute Sakralkunst zu fördern. Denn auf andere Art und Weise wird das Problem des Abklatsches auf lange Sicht nicht zu lösen sein. Die Kirche braucht wieder eigene, gute Kunst, um in vollem Glanz erstrahlen zu können. Dabei sollte man bedenken, dass die großen Meisterwerke der Geschichte immer entstanden sind, weil die Menschen von dem Grundsatz erfüllt gewesen sind: „Für Gott nur das Beste!“ Und das sollte in allem auch unser Ziel sein.